Hafen-Ost

Lass ma ein Positionspapier

Hafen Ost – ein neues urbanes Quartier in bester Lage. Die Stadt Flensburg bemüht sich um eine partizipative und nachhaltige, am Prinzip der Suffizienz orientierte Planung. Gleichzeitig kann man sicher sein, dass sich manch Eine*r bereits die Hände reibt, in der Erwartung guter Geschäfte und saftiger Profite.Wir schwanken daher zwischen Hoffnung einerseits und Befürchtungen andererseits. Wir hoffen auf ein lebendiges, vielfältiges und nachhaltiges Quartier, das in den Wohnhäusern und im öffentlichen Raum vielen verschiedenen Gruppen genügend Platz bietet. Wir fürchten jedoch, dass sich doch wieder einmal die Profitinteressen durchsetzen und der Hafen Ost kein Ort für Menschen mit wenig Geld oder die Natur wird (wir denken an Sonwik, das Klarschiff, den Werftkontor oder den Bahnhofswald).Wir wollen die Stadt Flensburg daher ermutigen und bestärken, Ernst zu machen mit Partizipation, Suffizienz und einer am Gemeinwohl orientierten Stadtentwicklung. Wir wollen sie ermutigen Profitinteressen in die Schranken zu weisen. Gleichzeitig können und wollen wir nicht bloß darauf vertrauen, dass es dieses Mal besser läuft als in der Vergangenheit.

1. ZUGANG ZUM HAFEN OST
Lass ma nicht nur Snobs und Yuppies, lass ma Platz für Punks und Hippies

Schon heute ist der Hafen Ost nicht leer, kein unbeschriebenes Blatt, sondern ein Freiraum, Rückzugsort, Treffpunkt, Erholungsraum und vieles mehr. Schon vor Jahren wurde die Luftschlossfabrik gewaltsam geräumt und verdrängt. Hier kommen Menschen hin, die im Rest der (Innen)Stadt wenig Platz finden. Hier treffen Flaneur*innen auf Sprayer*innen, hier können Jugendliche Partys feiern und Menschen in der Abendsonne sitzen, die sich vorm Werftkontor unwohl fühlen. Diese Subkulturen dürfen nicht weiter verdrängt werden. Im Hafen Ost sollen nicht leblose Fassaden glänzen, sondern Orte erhalten bleiben und entstehen, an denen sich häufig ausgegrenzte Gruppen willkommen fühlen. Der Hafen Ost muss ein Freiraum bleiben, den sich unterschiedliche Gruppen angeignen können.

2. WOHNRAUM UND EIGENTUM
Lass ma Investor*innen raus, lass ma kommunales Haus

Für ein lebendiges und buntes Quartier darf der neu entstehende Wohnraum nicht nur für Wohlhabende bezahlbar sein. Neben einem verpflichtenden Anteil von sozial gefördertem und zusätzlichem bezahlbaren Wohnraum für alle Wohngebäude bedeutet das vor allem eines: Keine Profite mit unserer Miete! Sozial geförderter Wohnraum garantiert nur für wenige Jahre niedrige Mieten und ändert nichts an der Ursache des Problems. Nur über die Eigentumsfrage lässt sich dauerhaft bezahlbarer Wohnraum sichern. Deswegen müssen alle Wohngebäude entweder in die Hände der Stadt, von Genoss*innenschaften, Mietshäusersyndikaten oder anderen nicht-profitorientierten Eigentümer*innen. Auch für die Flächen, die nicht der Stadt gehören, kann und muss die Stadt entsprechende Vorgaben gestalten.

3. EIGENTUM UND TEILHABE
Lass ma hohe Mieten sein, lass ma alle Menschen rein

Mit sogenannten Ankernutzer*innen wurden oder werden schon Verträge ausgehandelt, doch mit wem und zu welchen Konditionen ist nicht ersichtlich. Hier fehlt es an Transparenz. Die wiederum ist zwingend notwendig, um eine öffentliche Debatte darüber führen zu können, wer welchen Platz im Hafen Ost bekommen soll – und zwar bevor die Eigentumsverhältnisse in Beton gegossen werden. Nur dann kann nachvollzogen werden, ob kleinere, selbstverwaltete Akteur*innen, die deutlich mehr zur sozialen Stabilität des Quartieres beitragen als große Bauträger, bessere Konditionen bekommen. Daher braucht es eine Offenlegung der Preisstruktur.

4. MOBILITÄT
Lass ma ohne Auto-Mobilität, lass ma hohe Lebensqualität

Für den Mobilitäsbereich hat sich die Stadt vorgenommen ein autoarmes Quartier zu gestalten. Zeitgemäß; ist das Auto doch eher was für das letzte Jahrtausend. Autoarm ist jedoch ein dehnbarer Begriff. Damit Lärm, Gestank und Blechlawinen dem neuen Quartier nicht die Lebensqualität rauben, gilt es den Autoverkehr weitestegehend aus dem Quartier zu verbannen und wenn überhaupt Parkhäuser nur an den Rand des Quartiers (Kielseng) zu planen. Parkplätze im Quartier darf es nur für stark mobilitätseingeschränkte Menschen oder in Form von Kurzzeitparken für Lieferverkehre geben. Jeglichen Durchgangsverkehr von Autos gilt es zu unterbinden. Der Weg zum Fahrrad und Bus muss immer kürzer und bequemer sein, als zum Auto.

5. ÖFFENTLICHER RAUM AN LAND
Lass ma keine Parkplätze, lass ma lieber Parks und Plätze

Wird kein Raum mehr für Parkplätze verschwendet, können Parks und Plätze entstehen. Diese müssen vielfältig sein, eben nicht nur für Snobs und Yuppies. Es braucht Plätze, die „unfertig“ sind, die Gestaltungsspielraum lassen. Es braucht Baracken und Brachen, in und auf denen Temporäres und Neues entstehen kann. Auf dem einen Platz wird getanzt der nächste eignet sich zum Gärtnern und auf dem dritten wird gesoffen. Dafür braucht es eine inklusive und offene Planung im Hafen Ost, die nicht von Beginn an alles verplant, die Bedürfnisse Vieler mitdenkt und viele Grün- und Gemeinschaftsflächen vorsieht, welche angeeignet werden können.

6. ÖFFENTLICHER RAUM ZU WASSER
Lass ma Kreuzfahrtschiffe stecken, lass ma lieber Badebecken

Der öffentliche, gemeinschaftlich genutzte Raum endet nicht an der Hafenkante. Die Förde ist einer der großen Reichtümer Flensburgs. Dieser Reichtum sollte allen zugänglich sein – als „Badebecken“ und Erholungsort. Bisher fehlt es an einem innerstädtischen Ort, der zum Baden einlädt. Außerdem sollte Wassersport wie etwa Rudern und Segeln für viel mehr Menschen zugänglich sein. Der Hafen Ost bietet genug Platz und wäre ein idealer Ort für eine großzügig angelegte (kostenlose!) Badeanlage, für niedrigschwellige (d.h. günstige) Wassersportangebote, die sich speziell auch an die Flensburger Schulen richten, und für Parks und Plätze in unmittelbarer Wassernähe.Es erscheint uns fast überflüssig, das zu sagen, aber sicherheitshalber tun wir es doch: die Idee eines Kreuzfahrtterminals im Hafen Ost ist aus vielen Gründen absurd und würde allen angestrebten Prinzipien zuwiderlaufen.

7. GEWERBE
Lass ma keine Großkonzerne, lass ma Platz für Kleingewerbe

Das Erdgeschoss sollte alles bereithalten, was die Menschen im neuen Quartier brauchen. Das sind weder Luxusboutiquen noch teure Restaurants oder Cafés, sondern Lebensmittelläden, Kitas, Ärzt*innen, soziokulturelle Zentren, Selbsthilfewerkstätten, kleine lokale Betriebe wie das Hafenwerk und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Durch entsprechendes Gewerbemanagement, welches schon bei der Grundstücksvergabe beginnt, muss die Stadt den Menschen im Hafen Ost kurze Wege zu diesen Einrichtungen ermöglichen. Die Immobilien mit dem besten Blick sollten dem Gemeinwohl zugute kommen. Hier wäre etwa ein würdigerer Platz für die Flensburger Stadtbibliothek oder eine Bibliothek der Dinge. Gastronomische Angebote wie Cafés, Kneipen, Biergärten oder Restaurants sollten ein breites Publikum und zahlreiche nicht-kommerzielle Aufenthaltsorte ergänzen. Große Ketten sind ein Tabu. So steigt der Charme des Quartiers und die lokale Wirtschaft wird gestärkt.

8. SUFFIZIENZ
Lass ma nicht so groß und einsam, Lass ma kleiner und gemeinsam

Der Hafen Ost soll ein Leuchtturmprojekt für suffiziente Stadtplanung werden. Das muss mehr sein als eine Worthülse. Daher wollen wir daran erinnern, was Suffizienz für ein neu entstehendes Quartier bedeutet: Beim Wohnen steht viel gemeinschaftliche Fläche kleineren Privatwohnungen gegenüber. Weniger als 30 Quadratmeter pro Person ist machbar, war es doch in den 1990er Jahren noch der Durchschnitt und vollkommen normal. Beim Bauen gilt es möglichst viel vom Bestand zu erhalten bzw. umzubauen und zu sanieren. Im Bereich derMobilität steht der Umweltverbund anstelle von Autos im Fokus und der öffentliche Raum ist durch nicht-kommerzielle Flächen geprägt. Statt des Profites Einzelner stehen die Bedürfnisse der Bewohner*innen und Nutzer*innen im Fokus, wobei insbesondere vielfach ausgeschlossene Flensburger*innen mitgedacht werden. Für eine solche Entwicklung muss die Stadt den Mut beweisen, profitorientierten Investor*innen die Stirn zu bieten, neue, kleine, unerfahrenere Akteur*innen aktiv zu unterstützen und so den wertvollen Stadtraum für die Allgemeinheit zugänglich zu machen – nicht nur zum Spazieren. So kann ein lebendiges Quartier entstehen, in dem Bedürfnisse ressourcenarm, also ganz suffizient, gedeckt werden können.

9. PROZESS
Lass ma nicht in Hinterzimmern, lass ma alle mitbestimmen

Wir haben unsere Zweifel, ob die Stadt den notwendigen Mut aufbringen kann. Zu oft wurden wir auch in jüngerer Zeit enttäuscht. Auch ist es schwer von außen mitzubekommen, worüber gerade verhandelt, was gedacht, was entschieden wird. Es gab einzelne Beteiligungsveranstaltungen, was aber fehlt, ist eine kontinuierliche Kommunikation vor Ort, mit uns Flensburger*innen, mit den Menschen, die sich jetzt im Hafen Ost aufhalten. Dadurch wurden viele Menschen nicht gehört. Auch die Folgen für die Neu- und Nordsadt dürfen im Prozess nicht vergessen werden, sondern müssen zu Entschädigungen führen. Wir fordern Politik und Verwaltung auf etablierte Pfade zu verlassen, mächtige Investor*innen in die Schranken zu weisen und stattdessen auf kleine Akteur*innen zu setzen und eine gerechte und zukunftsgerichtete Stadt nach menschlichem Maß zu bauen. Wenn es der Stadt gelingt, das notwendige Maß an Mut und Rückrat aufzubringen, kann nicht nur ein lebenswerter Hafen-Ost für Viele enstehen, sondern die Stadt kann auch ein Stück Vertrauen zurückgewinnen.

Initiative Recht auf Stadt – Flensburg, 28.02.2022